Hans Hass
,,Das wichtigste Gefühl beim Tauchen
ist eine Art Andacht.
Das Motto muss sein:
genieße,nimm daran teil,
greife nicht ein, zerstöre nicht."
(Hans Hass)
Link zum Bericht: ,,ein unvergesslicher Abend mit Hans & Lotte Hass"
Link zum Bericht: ,,Hans Hass Filmvorführung im Bellaria Kino"
Auszüge aus dem Buch: ,,Menschen und Haie"
,,In 20 bis 25 Meter Tiefe beginnt man die unermessliche Ausdehnung des Meeres körperlichzu fühlen. Es ist ein ähnlich ehrfurchtsvoller Schauer, den man dort unten empfindet, wie wenn man gegen Abend alleindas mächtige Gewölbe eines gotischen Domes betritt und der schweigende Raumsich im ungewissen Dämmerlicht ins Endlose auszuweiten scheint.
Wo sind die Grenzen dieses größten Erdteiles? So als wäre das Meer ein ungeheures Tier, dessen äußerste Schnurrborsten man nur eben kitzelt, blickt man in einen gähnenden Rachen, der groß genug wäre, unsere ganze ameisenhafte Menschheit zu verschlingen. Was wissen wir vom Leben in der Tiefe?
Was wissen wir von den Geheimnissen, die dort unten verborgen sind?“
,,Ich stand auf einem Felsen in 22 Meter Tiefe, blickte in den weiten Raum und konnte mich nicht satt sehen andiesem Blau, das nach abwärts zu immer dunkler und satter wurde, während es sich über mir in einem grenzenlosen Silberhimmel verlor. Kleine Lämmerwölkchen schwebten dort oben wie auf einem Frühlingshimmel – die Wellen.“
,,Ich glitt weiter hinab, und eine traumhafte Stimmung nahm von mir Besitz. Durch die Giftigkeit des Sauerstoffes unter größerem Druck verliert man allmählich die Gabe des logischen Denkens. Ein herrlicher Zustand! Wie in einem Rausch empfindet man das Leben an sich, verliert jedes Bedenken, jede Hemmung, jede Angst; schwimmt; schaut, erlebt und staunt – und gleitet weiter, immer weiter, so als gehöre man hierher und nirgendwo anders hin!“
,,Fische fliegen vorbei, schweben dahin. Und auch die Zeit fliegt und schwebt weiter, und ich bin nichts anderes als ein Teil von ihr, ein Prozess der sich, tausendfach in die Umwelt verwebt, an mir vollzieht.“
,,Vor dem Altar des Meeresgottes machte ich halt. Wie ein zu Fronleichnam geschmücktes Muttergottesbild sah diese Felsniesche aus. Nur waren es hier nicht Rosen und Margeriten und Lilien, aus denen die bunten Girlanden geschwungen waren, sondern durchwegs Tiere, denen die Natur Blütengestalt verlieh.“
,,Ich blickte nochmals um mich. Hinunter, in das ungeheure Maul des Meeres; zur Seite, über die blütenumrankten Felsen; empor, zu dem endlosen Silberhimmel. Dann stieß ich mich mit einer leichten Bewegung vom Boden ab. Und sogleich ergriff mich das Wasser, der Auftrieb, und trug mich mit gütigen Händen höher. Zurück,empor, an den Tag. Kein Gefühl lässt sich mit dem vergleichen, das man empfindet, wenn man aus größerer Tiefe wieder zur Oberwelt emporschwebt. Unterdem schnell zunehmenden Druck dehnt sich der Körper aus, und mit ihm dehnt sich gleichsam auch die Seele aus, als würde man in eine höhere Sphäre entrückt. Frei wie ein Vogel und ohne die geringste Kraftanstrengung fliegt man mit steigender Schnelligkeit aufwärts, und da sich die Atemluft mit jedem Meter ausdehnt, sprudelt man dabei dauernd Luft, als könne man die Lebenskraft in sich nicht mehr halten.
Schneller, immer schneller geht es empor. Es wird heller und strahlender, und die Ohren beginnen zu singen. In einem Kirchenchor kann man ein ähnliches Gefühl des Entrücktseins erleben, wenn sich der Choral seinem mächtigsten, glänzendsten Höhepunkt nähert. Es ist, als wolle das innere Gefühl einen zersprengen. In einem wahren Orgelbrausen durchfliegt man die letzten Meter und stößt dann durch den glitzernden Spiegel der Oberfläche, taucht wieder zurück in die sonnige Luft.
,,Wenn man in den Spiegel blickt, blickt man doppelt in den Spiegel. Da sind in der Mitte die vorstehende Nase mit den zwei Löchern an der unteren Kante, rechts und links davon die Augen, darüber die Haare, darunter der Mund und weiter hinten die Ohren mit ihrer tellerförmigen Begleiterscheinung – schön und gut, aber was ist das wirklich? Warum sehen wir so aus und nicht anders? Da wir wie alle höheren Tiere aus wurmartigen Vorfahren, ja aus Einzellern hervorgegangen sind, muss jeder Teil an uns im Laufe unserer Stammesgeschichte irgendeinmal entstanden – erfunden worden sein. Darum ist unser Gesicht nicht nur hübsch oder hässlich, sondern zugleich auch ein Spiegel unserer Vergangenheit."
"Unser ältestes Erbstück, so sollte man meinen, wäre der Mund. Da das Fressen nun einmal die Grundeigenschaft aller Tiere ist, müsste es auch schon unser erster mehrzelliger Vorfahre, der noch korallenähnlich im Meer lebte, getan haben. Das stimmt auch."
,,Nur hat sich aus diesem Korallenmund später das durchaus entgegengesetzte Ende unseres Speiseschlauchs entwickelt, und so ist es besser, mit einem Fremdwort über dieses heikle Thema hinwegzugehen und mit den Zoologen einfach festzustellen,dass der Mensch mit in die Gruppe der ,,Deuterostomier“ gehört."
,,Als Würmer bekamen wir dann das symmetrische Aussehen, denn als Würmer begannen wir uns in bestimmter Richtung kriechend fortzubewegen, und zu diesem Zweck muss man symmetrisch sein. Im Stadium der Rundmäuler gewannen wir den abgesetzten Kopf sowie Gehirn, Augen und Nasenlöcher; im Haifisch-Stadium die Zähne und den beweglichen Unterkiefer; als Schuppenmolche die äußere Tränendrüse. Und die Reptilienahnen? Die hätten uns nichts hinterlassen? O doch: die Zirbeldrüse und die Augenlider. Außerdem verehrte uns das Krokodil das erste Vorbild zu den Ohrlappen. Von den Säugetiervorfahren erhielten wir dann Haare und Wangen, und von den Uraffen die freistehende Nase und die beweglichen Finger, mit denen man so hübsch darin bohren kann."
,,Die seltsamste Vergangenheit hat freilich unser Ohr. Denn mit diesem haben wir, als wir noch Rundmäuler waren, geatmet."
,,Es bildete sich aus unserer ersten Kiemenspalte, die dann im Haifisch-Stadium verkümmerte und zum sogenannten ,,Spritzloch“ wurde – dem gleichen, das ich beim Rochen für das Auge gehalten hatte und das mich überhaupt zu der ganzen Betrachtung veranlasst hat. Die Wissenschaft spricht in diesem Fall von ,,Funktionswechsel“, und es gibt dafür noch andere Beispiele. So sind unsere Zähne aus Schuppen hervorgegangen, die beim Haifisch über den Rand ins Maul hineinwuchsen (weshalb er auch heute noch mehrfache Zahnreihen in seinem Rachen hat); unsere Lunge wieder hat sich aus der Schwimmblase der Fische entwickelt, als diese beim Verlassen des Wassers überflüssig wurde; und ebenso verloren auch die Kiemenbogen an Land ihre Existenzberechtigung, und es bildeten sich aus ihnen das Zungenbein, die Kehlkopfknorpel und die Gehörknöchelchen – womit ich dann glücklich wieder beim Ohr angelangt bin." (Kapitel 63)
Auszüge aus dem Buch: ,,In unberührte Tiefen - die Bezwingung der tropischen Meere"
,,Der Meeresboden zeigte nun bald ein völlig anderes Aussehen. Auf einmal stürzte er fast senkrecht in eine unheimliche Tiefe. Ohne auch nur einen Augenblick zu überlegen, kletterte ich weiter, und ich muss sagen, ich hatte ein so wunderbares Gefühl der Sicherheit wie nie zuvor in meinem Leben."
,,Ahnungslos schwammen wir mit unserer Beute empor, da sah ich, wie Jörg erstarrte. Und er hatte auch allen Grund dazu: drei Haie kamen aus verschiedenen Richtungen in haarsträubender Geschwindigkeit auf uns zugeschossen.
Wir sind später, wenn wir Beute machten, noch des öfteren in gleicher Weise von Haien attackiert worden und haben die Geschwindigkeit der Tiere im Angriff auf sechzig, achtzig oder vielleicht hundert Stundenkilometer geschätzt. Was es aber bedeutet, von einem Hai in so unheimlichen Tempo angegriffen zu werden, lässt sich mit Worten auch nicht annähernd schildern; das muss man selbsterlebt haben. Der Hai erscheint im Blickfeld, und im nächsten Moment ist er schon da. Die Schläge seines wild peitschenden Schwanzes sind so schnell und stark, dass man sie nicht sehen, aber deutlich unter Wasser hören kann.
In diesem Augenblick größter Gefahr ist mir im Bruchteil einer Sekunde klar geworden, wie sinnlos es ist, ein Messer als Waffe gegen den Hai bei sich zutragen. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, das Messer rechtzeitig anzuwenden: was sollte man schon mit dieser lächerlichen Waffe gegen eine so gewaltige ,,Bestie" ausrichten können? Nein, ein Messer ist vollkommen zwecklos, und wir haben es auch in der Folgezeit meist zuhause gelassen. Wenn der Hai attackiert, kommt er wie ein Blitz.
Die Haie kamen auf uns zugerast, für einen Augenblick waren wir keiner Bewegung mächtig, dann schrie einer von uns vor Schrecken ins Wasser. Keiner von uns konnte sich später erinnern, wer es eigentlich war, doch einer stieß zum Glück mit einem schrillen Ton Luft ins Wasser aus, und das hatte eine erstaunliche Wirkung. Wie von einer höheren Macht zurückgepeitscht, riss es die drei Haie noch im letzten Augenblick vor uns herum, und sie jagten ebenso schnell wieder davon, wie sie gekommen waren.
Einer der Haie, ein Bursche mit lichten Längsstreifen, schien sich nach dem ersten Schrecken seiner Angst zu schämen, denn kaum dreißig Meter von uns entfernt machte er wieder kehrt und setzte zu einem zweiten, noch wütenderem Angriff an.Jetzt aber brüllten wir zu dritt im Chor. Und diesmal warf es ihn buchstäblich zur Seite, er raste davon, und wir haben ihn nicht mehr gesehen.
Atemlos,vollkommen erschöpft erreichten wir wieder die Oberfläche und wussten, dass wir unsere gesunden Glieder nur einem Zufall verdankten. Die gütige Vorsehung hatte uns im Augenblick großer Gefahr die einzige Waffe finden lassen, die man unter Wasser gegen einen attackierenden Hai hat: man muss ihn anschreien!"
,,Als ich damals in Antibes zum ersten mal meine neue Unterwasserbrille, dieses kleine Ding aus Kautschuk und Glas, in der Hand hielt, ahnte ich kaum, wie viele schöne Stunden sie mir schenken würde. Ich erlebte herrliche, windstille Sommertage mit dem vollen Glanz des Himmels und ruhiger See. Und die Meerestiefe zeigte mir ihre Wunder; die romantischen Vorstellungen meiner Jugend erfüllten sich.
Wild stürzen die Felsen hinunter, zerrissen von Schluchten, die sich weit unten im sonderbaren Blau der Tiefe verlieren. Zarte bunte Algen und Gewächse überdecken die Felsen und wechseln im flimmernden Licht, das von obenhereinbricht, jeden Augenblick ihre Farbe.
Und in dieser märchenhaften Welt leben die Fische! In allen Farben schillern sie,in allen Grössen und merkwürdigen Formen wimmeln sie in Spalten und zwischen bunten Algen. Ganz vorwitzige kommen sogar so nahe heran, dass man nach ihnen haschen möchte; doch da staunt man von neuem - die Sicht ist verzerrt; wie kurz sind plötzlich die eigenen Arme! Alles scheint weit grösser und näher, als es n Wirklichkeit ist: das Licht bricht sich durch die in der Brille eingeschlossene Luft.
In keiner Stunde meines Lebens war ich so wunschlos glücklich wie in jenen ersten Tagen, als all diese fremden Eindrücke zum erstenmal auf mich wirkten.Stundenlang schwamm ich an der Küste von Antibes entlang, tauchte und konnte mich an all dem Neuen nicht satt sehen."